Ungewissheitstoleranz als neue ‚Schattenkompetenz‘. Brauchen wir ein ‚Recht auf Inkompetenz‘?
Zusammenfassung
In einer Welt voller Ungewissheiten und wachsender Abhängigkeit von der Fremdversorgung mit den Gütern und Dienstleistungen der ‚hochentwickelten‘ Industriegesellschaft entscheiden auch in sozialen Bereichen zunehmend Experten darüber, welche Kompetenzen Menschen nachweisen müssen, um ihr persönliches und berufliches Überleben zu sichern. Dazu gehört Ungewissheitstoleranz als neue Schattenkompetenz der Subjekte: die Aufforderung, die unplanbare eigene Zukunft ‚aktiv‘ zu gestalten. Im Gegensatz dazu sich selbst im Blick auf die eigene und die gesellschaftliche Situation für zuständig, urteilsfähig und handlungsfähig zu erklären, kann bedeuten, fremdbestimmte Kompetenzbeurteilungen zurückzuweisen und ein ‚Recht auf Inkompetenz‘ in Anspruch zu nehmen. Unter Bezug auf alte und neue Ansätze einer Kritik dieser Tendenzen zu umfassender Entmündigung plädiert der Artikel für einen Bewusstseinswandel im Umgang mit äußeren Unwägbarkeiten und inneren Krisen: eine an den Subjekten, ihrem Erleben und ihren Möglichkeiten orientierte Beziehungsgestaltung, die geprägt ist von Respekt und Wertschätzung sowie der Anerkennung von Fehlerfreundlichkeit und der Grenzen äußeren Wachstums.