Editorial
Zusammenfassung
Die vorliegende Ausgabe hat keinen spezifischen Themenschwerpunkt. Den Beiträgen ist jedoch gemeinsam, dass sie sich mit verschiedensten Ansätzen zur Förderung von Gesundheit und ganzheitlichem Wachstum befassen, die sowohl aus den Humanwissenschaften als auch den spirituellen Traditionen der Welt schöpfen. Das Gros der Autoren verfügt über langjährige Erfahrungen in beiden Welten und führt diese in fruchtbaren Synthesen zusammen. So beschreibt Ulrich Pfeifer-Schaupp, Professor für Sozialarbeitswissenschaft an der Evangelischen Hochschule in Freiburg i. Br., seine umfangreichen Erfahrungen mit der Integration von Achtsamkeit und (Selbst-)Mitgefühl in das Studium der sozialen Arbeit. Dabei arbeitet er auf eine sehr klare, inspirierende und berührende Weise den Wert der Achtsamkeitspraxis für unterschiedlichste Lebenssituationen heraus. Zu Beginn werden einige grundlegende Definitionen und Komponenten von Achtsamkeit benannt und ebenso daran anschlussfähige (wissenschafts–)theoretische und methodische Konzepte, die im Bereich der sozialen Arbeit grundlegend sind. Darauf folgen eine Darstellung der konkreten Seminarinhalte und eine Analyse ihrer Wirkungen. Die berichteten Befunde machen einmal mehr deutlich, warum die achtsamkeitsbasierten Ansätze eine so große Erfolgsgeschichte vorzuweisen haben. So veranschaulichen Zitate der Studierenden die vielfältigen Wirkungen der Übungen in verschiedensten Bereichen des persönlichen und beruflichen Lebens. Der Autor selbst fasst diese zusammen als „das Innewerden der beglückenden Tatsache, dass ich lebe“. Basierend auf den geschilderten Erfahrungen in der Weiterbildung von Studierenden zieht der Autor eine Reihe von Schlussfolgerungen im Hinblick auf die didaktische Vermittlung von Achtsamkeit im Kontext eines Hochschulstudiums, die auch auf andere universitäre Studiengänge gewinnbringend übertragen werden können. Die zentrale Variable für das Gelingen der Seminare, so Pfeifer-Schaupp, „scheint die feste Verankerung des Dozenten in der Achtsamkeitspraxis, seine Echtheit und Glaubwürdigkeit zu sein“. Während der vergangenen Jahrzehnte lässt sich in den postmodernen westlichen Gesellschaften ein stetig wachsendes Interesse an vielfältigen Formen einer selbstbestimmten und erfahrungsbezogenen Spiritualität verzeichnen. Zu allen Zeiten und in allen Kulturen war jedoch auch wohlbekannt, dass eine solche spirituelle Orientierung mit jeweils spezifischen Fallgruben und Gefährdungen einhergeht. Die Psychologin Susanne Jacobowitz befasst sich in ihrer spannenden Analyse mit den Fragen, welche spezifischen Charakteristika unsere postmodernen Gesellschaften und die damit assoziierte postmoderne Spiritualität auszeichnen und zu welchen zeit- und kulturspezifischen Gefährdungen und Fehlhaltungen dies in der Konsequenz für spirituell interessierte Individuen führen kann. Als zentrale Varianten solcher Fehlhaltungen werden spiritueller Materialismus, spiritueller Autismus und spirituelle Hyperreflexion näher beschrieben und als deren gemeinsamer Nenner eine übermäßige Selbstbezüglichkeit ausgemacht. Es wird ersichtlich, dass die Gefahren vor allem in einer Spiritualität bestehen, die ausschließlich auf das Individuum und dessen Bedürfnisse bezogen ist, bei der jedoch eine echte, tiefgreifende Transformation verhindert wird. Erste Ansätze einer Lösung werden ebenfalls aufgezeigt. Die Liebe als grundlegendes, universelles Prinzip des Lebens rückt in jüngerer Zeit in Veranstaltungen und Publikationen im Umfeld der transpersonalen und integralen Bewegung zunehmend in den Fokus des Interesses. So befasst sich auch der diesjährige Heiligenfelder Kongress, der im Mai in Bad Kissingen stattfindet, mit den verschiedenen Dimensionen der Liebe und ihrer Bedeutung für das menschliche Dasein. Den religiösen Traditionen der Welt kommt hierbei insofern ein besonderer Stellenwert zu, als sie spezifische Sichtweisen und Praxisformen entwickelt haben, die uns dabei unterstützen sollen, unsere Liebesfähigkeit und unsere altruistischen Impulse sukzessive immer mehr auszudehnen, sodass diese nicht auf die unmittelbar nahestehenden Bezugspersonen beschränkt bleiben, sondern einen immer weiteren Kreis von Lebewesen und Aspekten der Schöpfung miteinschließen. In diesem Sinne umkreist der Psychologe, Psychotherapeut und Yoga-Lehrer Stefan Machka in seinem Beitrag den Zustand der „höchsten Liebe“, wie er in der indischen Tradition des Bhakti-Yoga angestrebt wird. Auf der Grundlage von traditionellen yogischen Schriften werden die zugrundeliegenden Kosmologien sowie die konkreten Vorgehensweisen, die dazu dienen sollen, Zugang zu dieser höchsten Form der Liebe zu erlangen, dargestellt. Getreu der Erkenntnis, dass derartige ultimative Zustände mittels der üblichen sprachlich-konzeptuellen Zugänge nur begrenzt fassbar sind, werden die angestrebten Zustände darüber hinaus mittels ausgewählter Gedichte von indischen Dichterheiligen illustriert. Diese poetische Zugangsweise eröffnet dem Leser die Möglichkeit, die intendierten Zustände nicht nur logisch-rational nachzuvollziehen, sondern mittels dieser „verdichteten Erfahrungen“ unmittelbar mit diesen in Resonanz zu treten und „mitzuschwingen“. Der Mediationslehrer und langjährige buddhistische Mönch Yesche Udo Regel beschreibt in seinem Beitrag die Praxis der Tonglen-Meditation aus der Tradition des tibetischen Buddhismus. Dabei handelt es sich um eine uralte Praxis zur Transformation von leidhaften psychischen und körperlichen Zuständen. Tonglen hat eine Nähe zu den derzeit zunehmend thematisierten und erforschten psychischen Qualitäten des Mitgefühls und des Selbstmitgefühls. So kann es sowohl als Übung in Selbstmitgefühl angewandt werden als auch zur Kultivierung von altruistischem Mitgefühl. Der Autor beschreibt, wie ein solcher Tonglen-Prozess konkret verläuft, und illustriert das breite Spektrum möglicher psycho-sozialer Situationen, in denen diese Praxis zum Einsatz kommen kann. Dieses reicht von schwierigen persönlichen und zwischenmenschlichen Situationen über die Anwendung durch Fachpersonen, wie Ärzte, Psychotherapeuten, Pfleger oder Sterbebegleiter, bis hin zum mitfühlenden ZeugnisAblegen über konkrete schwierige Situationen in der Welt, wie etwa ökologische oder gesellschaftliche Krisen. Nicht zuletzt werden das spezifische Verständnis von Mitgefühl in der buddhistischen Philosophie dargelegt und wesentliche Unterschiede zwischen Mitgefühl und Empathie herausgearbeitet. Der Beitrag der jungianischen Analytikerin Brigitte Dorst befasst sich mit Träumen und Traumarbeit. Die Autorin schöpft aus ihren reichhaltigen und langjährigen persönlichen Erfahrungen mit zwei unterschiedlichen Zugängen zum Menschen, die der Arbeit mit Träumen eine hohe Bedeutung beimessen – der Analytischen Psychologie nach C. G. Jung sowie dem Sufismus als einem konfessionell unabhängigen spirituellen Schulungsweg. Sie beschreibt das Arbeiten mit Träumen im Kontext einer heutigen Sufi-Gruppe, wobei sowohl tiefenpsychologische als auch spirituelle Ansätze und Deutungsmöglichkeiten miteinfließen. Das besondere Augenmerk liegt auf der spirituellen Dimension von Träumen und deren Funktion als Wegweiser im Dienste einer ganzheitlich-spirituellen Entwicklung. Anhand einer Reihe von exemplarischen Träumen werden das Vorgehen sowie die tieferen Implikationen der geschilderten Träume für den Prozess der spirituellen Entfaltung verdeutlicht. Desgleichen wird auf eindrückliche Weise nachvollziehbar, wie der Resonanzraum einer Gruppe auf vielfältige Weise dazu beitragen kann, die den Träumen innewohnenden Botschaften zu entschlüsseln und diese nicht nur zu Lehrgeschichten für den Träumer, sondern für alle Beteiligten werden zu lassen. Die Ausgabe schließt mit einem Bericht über ein Forschungsretreat, welches 2016 auf der Fraueninsel im Chiemsee unter Leitung von Thilo Hinterberger, Sabine
Poetsch und Helmut Kaiser durchgeführt wurde. Es hatte zum Ziel, gemeinsam mit 24 weiteren Teilnehmenden, verschiedene Konzepte und Methoden vorzustellen und zu erforschen, mit deren Hilfe intrinsische Lebens- und Wachstumsimpulse zugänglich gemacht werden können. Ein Team von insgesamt zehn Autoren beschreibt das breite Spektrum der vorgestellten Methoden, die dadurch ausgelösten inneren Prozesse, deren innewohnenden Potentiale sowie weitere Optimierungsmöglichkeiten der vorgestellten Übungen. Die Veranstaltung stand im Kontext der „Initiative Werden“, deren Ziel es ist, Menschen in ihren Prozessen der Sinnfindung und des Werdens ganzheitlich und wachstumsorientiert zu begleiten (siehe hierzu den Beitrag von Wilfried Belschner „Die Kunst der Werdensbegleitung“ in Ausgabe 2/2016). Das vorgestellte Forschungsretreat sollte dazu dienen, hierfür geeignete Methoden und Ansätze zu sichten.
Möge Ihnen das Lesen dieser Texte nachhaltige Inspirationen für Ihr persönliches und berufliches Leben bescheren.
Liane Hofmann