Editorial

  • Dorothee Wienand-Kranz
  • Harald Piron
Schlüsselwörter: Editorial

Zusammenfassung

Liebe Leserinnen und Leser,
vor Ihnen liegt ein bunter Strauß von Beiträgen zur Transpersonalen Psychologie. Die einzelnen Artikel betrachten nicht nur verschiedene Ausschnitte der Transpersonalen Psychologie, sondern sie befinden sich auch auf unterschiedlichem Abstraktionsniveau. So glauben und hoffen wir, dass für jede und jeden etwas Bereicherndes dabei ist. Wir waren bemüht, ein ausgeglichenes Verhältnis von Theorie, Praxis und Empirie zu wahren. Die Auswahl der Beiträge fiel uns nicht leicht, da sehr viele interessante Arbeiten eingereicht wurden. In einigen Fällen haben wir das ganze Team entscheiden lassen. Auch wenn im Alltag, wie z.B. bei der Zusammenstellung einer Fachzeitschrift wie dieser, Entscheidungen getroffen werden müssen, die auf bestimmten Auswahlkriterien beruhen, kann das Urteilen und Bewerten auch zu einer Gewohnheit oder gar zu einer Volkskrankheit werden, die viel Schaden anrichtet. Die Spirale von Täter und Opfer setzt sich fort, bis die Krankheit irgendwann geheilt wird. Wie Bewertungen und Urteile entstehen, wie diese zu Machtspielen eskalieren können, welche psychologischen, soziologischen und neurologischen Bedingungen zugrunde liegen, damit setzt sich der Atemtherapeut Wilfried Ehrmann auseinander. Er gibt uns auch Impulse, wie wir uns selbst oder andere von dieser Tendenz befreien können. Mit einem nicht weniger interessanten, insbesondere für die spirituelle „Szene“ relevanten Thema geht es weiter: Das Bedürfnis nach spiritueller Heimat, Zugehörigkeit und Orientierung zieht viele suchende Menschen zu Gemeinschaften oder Organisationen, die sich um eine spirituelle Führungsfigur herum gruppiert haben. Angelika Doerne untersucht sowohl auffällige wie auch eher subtile Phänomene der kollektiven Unterwerfung und Identifikation. Sie erörtert Kriterien von Ken Wilber, Ludwig Frambach und Dick Anthony und wendet diese u.a. an dem sehr populären Beispiel der Osho-Bewegung an, die ja nach Aussagen Oshos und seiner Anhänger keine „Bewegung“ ist bzw. nicht so bezeichnet werden darf. Die Autorin gewährt Einblicke in anekdotische Geschehnisse, die nicht jedem bekannt sein dürften, aber so manche bekannte pathologische Grundmuster deutlich machen. In unserem durch das Christentum geprägten Kulturkreis fehlt uns oft Wegweisung, Begleitung und Unterstützung auf dem spirituellen Weg. Besonders die Bedeutung des Heiligen Geistes ist im Alltagsverständnis verblasst. Etliche wenden sich daher vom Christentum ab und gehen anderswo auf die Suche. So erging es auch dem Arzt und Psychotherapeuten Axel Leopoldt. Er wandte sich der Ridhwanschule von A. H. Almaas zu, die die Erfahrung von Essenz als wichtigen Teil der spirituellen Entwicklung ansieht. A .H. Almaas hat einen Weg zur Förderung dieser Erfahrung entwickelt, der verständlich und als gangbar empfunden wird. Später erkennt der Autor durch die Lektüre von Meister Eckart, dass es doch deutliche Parallelen zwischen der von Almaas beschriebenen Essenz und dem Heiligen Geist gibt. In seinem Artikel nun vergleicht er die Erfahrung dieser beiden Konzepte. Er beschreibt zunächst kurz und prägnant, was im Christentum mit „Heiligem Geist“ gemeint ist, sodann, was A.H. Almaas unter „Essenz“ versteht, um sie dann gegenüberzustellen. Auch die Umsetzung für das alltägliche Leben wird berücksichtigt. Unterschiede sieht Axel Leopoldt hauptsächlich in den verschiedenen Wegen der Annäherung. Für Menschen, die sich enttäuscht vom Christentum abgewandt haben, gibt es möglicherweise einen Hoffnungsschimmer. Einem ganz anderen Thema widmet sich Harald Piron in seinem Artikel mit der vielleicht zunächst verblüffend wirkenden Überschrift „Transpersonale Aspekte in der Neurobiologie“. Die Neurobiologie boomt ja gewissermaßen, ist in aller Munde und einige Vertreter dieses Faches glauben, mit ihren Erkenntnissen alles erklären zu können. Piron räumt gründlich und exakt mit etlichen Übergriffen einiger Vertreter dieses Faches auf. Er würdigt einerseits die Verdienste der Neurowissenschaft, setzt ihr aber auch klare Grenzen bzgl. der Interpretation, deckt erkenntnistheoretische Irrtümer auf u.a. im Sinne „Was ist zuerst da, Henne oder Ei?“. Dann zeigt er sehr eindrücklich auf, was die Neurobiologie an Erkenntnissen zu Gehirn und Bewusstsein tatsächlich gefunden hat. Da gibt es einiges zu sagen. Und er beleuchtet die immer wieder neu gestellte Frage „Gibt es einen freien Willen?“ und kommt zu der Synthese eines „Sowohl-als-auch“ bzw. einer Dimensionalität, um abschließend festzuhalten, dass die Neurobiologie zu einem ganzheitlichen Verständnis beitragen kann. Schlafstörungen stellen in unserer bekanntlich hektischen, reizüberfluteten, gestressten Arbeits-, Freizeit- und Familienwelt ein weitverbreitetes Problem dar. Die Pharmaindustrie kann sich dieser Sachlage nur erfreuen. Nicole Baden untersucht in ihrer empirischen Arbeit zur Behandlung von Schlafstörungen einen sehr viel preiswerteren, gesünderen und wohl auch nachhaltigeren Ansatz: Mit Hilfe von Gewahrsein. Sie stellt das kognitive Modell der Schlafstörung und deren Behandlung vor, den Teufelskreis der Aufrechterhaltung, um dann unter dem Blickwinkel der Bewusstseinspsychologie die Schlafstörung zu betrachten. Ein sehr vielversprechender Ansatz. Dass der Begriff Achtsamkeit mehr ist als ein Modewort der modernen Therapieszene beweist der buddhistische Lehrer Akincano. Er arbeitet kenntnisreich und gut verständlich die facettenreichen Aspekte von Achtsamkeit, ihre Gleichnisse, Hindernisse und Visionen heraus. Nahe an den buddhistischen Quelltexten eröffnet sich ein Spektrum von vielen verschiedenen Bedeutungsinhalten des komplexen Themas der Achtsamkeit. Akincano weist auf Gemeinsamkeiten zwischen buddhistischer Achtsamkeitspraxis und westlicher Psychotherapie hin und beleuchtet diese anhand von Beispielen einiger Therapieschulen. Impulse für eine buddhistisch orientierte Psychotherapie, die mehr im Sinn hat, als Achtsamkeit bloß als weitere Komponente in einem mechanistischen Baustein-Manual unterzubringen, klingen an und werden in der nächsten Ausgabe weiter vertieft und konkretisiert. Wir möchten allen Autoren für ihr Engagement danken, ohne die diese Zeitschrift nicht zustande gekommen wäre, und wünschen nun Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, viel Spaß, Interesse und Inspiration.


Dorothee Wienand-Kranz und Harald Piron

Veröffentlicht
2009-08-03