Editorial

  • Heinrich Dauber
  • Ulla Pfluger-Heist
Schlüsselwörter: Editorial

Zusammenfassung

Das Heft, das Sie in Händen halten, entstand in einem längeren Austausch zwischen Personen, die auf dem Hintergrund ihrer Biographien unterschiedliche Ansätze und Konzepte vertreten. Das gemeinsame Anliegen aller beteiligten AutorInnen war, Fragen der Bewusstseinsbildung und -erweiterung in der Praxis aus verschiedenen theoretischen und philosophischen Perspektiven zu beleuchten, kurz: einen lebendigen Dialog zwischen Forschung und Praxis zu initiieren und zu dokumentieren. Als für dieses Heft verantwortliches Redaktionsteam haben wir versucht, einen allen Beiträgen zugrunde liegenden ‚roten Faden‘ – der Weber würde sagen – die Kette des Teppichs, zu finden. Dieser ‚rote Faden‘ könnte mit Worten so formuliert werden: Als Menschen sind wir aufgrund unserer conditio humana in der Lage, unser eigenes Bewusstsein zu erforschen und selbstreflexiv in der Meditation wie in unserer sozialen, pädagogischen und therapeutischen Praxis zu erweitern. Die Erforschung unseres eigenen Geistes, die dialogische Verständigung mit anderen im personalempathischen Raum der Begegnung und in transpersonalen Bewusstseinsfeldern ergänzen und befruchten sich in der therapeutischen und pädagogischen Arbeit. Was da geschieht, ist noch unzureichend erforscht und mit den Mitteln der quantitativ-messenden Wissenschaft nur begrenzt zu erfassen. Künstlerische und rituelle, ‚schamanische‘ Formen eines ‚heilenden‘ Dienstes für die und an der Gemeinschaft, energetische Heilarbeit, meditative Selbstreflexion, die therapeutische Durcharbeitung biografischer Entwicklungen und Muster, Resonanz für die tiefen Ebenen von Gruppenprozessen,– all diese Ansätze und Dimensionen lassen sich nicht auf oberflächlich abprüfbare Fähigkeiten oder Kompetenzen reduzieren. Gleichwohl sind sie, davon sind wir überzeugt, erlernbar und – wenigstens ansatzweise – trainierbar. In einer medial globalisierten Welt, die sich scheinbar nur noch an Profitraten, ihrem Aufstieg und Fall orientiert, sehen wir in der Ausarbeitung und Dokumentation solcher Ansätze, die das Gemeinschaftliche und das Persönliche, das Politische und das Spirituelle verbinden, eine große Einladung, Herausforderung und Aufgabe. Aus diesem ‚roten Faden‘ ergibt sich die Gliederung dieses Heftes. Auf dem Hintergrund ihrer langjährigen Erfahrung mit therapeutischen Gruppen entwickeln Karl Winter, Gertraud Reichert und Ulla Pfluger-Heist vom Psychosynthese-Haus Allgäu Bodensee drei Dimensionen im Gruppengeschehen, die in enger Wechselwirkung zueinander stehen und unterschiedliche Haltungen und Interventionen der Gruppenleitung erfordern: eine personale, eine psychodynamische und eine spirituelle Dimension. Ihre Arbeit, theoretisch fundiert und mit praktischen Hinweisen verdeutlicht, verknüpfen die AutorInnen mit einer friedenspolitischen Vision: Die Erfahrung von Individualität und Solidarität in einer Gruppe schafft ein heilsames Gruppenfeld, das auch über „den Rand hinaus“ einen sich auf das gesellschaftliche Umfeld positiv auswirkenden Beitrag leisten kann – absichtslos, aus sich selbst heraus. Um die Verknüpfung dieser Dimensionen geht es auch in der künstlerischen Praxis des Playbacktheaters, das mit vier Beiträgen im Mittelpunkt dieses Heftes steht. Öffentlich Geschichten zu erzählen hat eine lange Tradition in der Geschichte der Menschheit. In der Praxis des Playbacktheaters verbinden sich die Erzähltraditionen vorliterarischer Gesellschaften mit den Formen modernen Improvisationstheaters, wie sie von Jacob L. Moreno für das psychodramatische Spiel entwickelt wurden. Playbacktheater wurde 1975 von Jonathan Fox in New York begründet und wird heute in über 50 Ländern von über 500 Gruppen auf der ganzen Welt praktiziert. Auf dem Hintergrund seiner eigenen 12-jährigen Erfahrung als Leiter einer Playbacktheatergruppe knüpft Heinrich Dauber an die Rolle traditioneller Schamanen in traditionellen Gesellschaften an und beschreibt eine nicht-ego-zentrierte Haltung im Playbacktheater, in der die Geschichten des Einzelnen als Geschenke betrachtet, transformiert und der Gemeinschaft als Teil einer gemeinsamen ‚Kultur der Gaben‘ zurückgegeben werden. Im Mittelpunkt einer solchen Arbeit stehen auf verschiedenen Wahrnehmungsebenen erweiterte Resonanzen für umfassendere Wirklichkeiten. Ausgehend von einer persönlichen Begegnung wendet Wilfried Belschner das von ihm entwickelte Modell zur empirischen Erforschung verschiedener Zustände von Wachbewusstsein (sachlich rationale Verhandlung, empathischer Diskurs, von der Erfahrung reiner Bewusstseinsqualitäten getragene Begegnungen, von der Erfahrung der Nondualität getragene Resonanz) auf das Playbacktheater an. Die von ihm beschriebenen Modi der Präsenz sieht Belschner als kulturelle Muster, die bewusst gemacht und systematisch ‚geschult‘ werden können, um zu lernen, aus der ‚AlltagsTrance‘ auszubrechen. Im folgenden Beitrag würdigt der Erfinder dieser Theaterform, Jonathan Fox/ New York, Belschners Modell der Bewusstseinsforschung in seiner Bedeutung für den beruflichen Alltag professioneller Therapeuten, Berater und – eben auch – Praktiker des Playbacktheaters und ihr Verständnis für ein erweitertes Bewusstseinsspektrum. Dabei ruft er rückblickend die Geschichte der Erfindung und jahrzehntelangen Entwicklung dieser künstlerischen Praxis (selbst-)kritisch in Erinnerung und macht praktische Vorschläge ‚darüber-hinaus‘ zu gehen. Dorothee Wienand-Kranz nimmt eine eigene Erfahrung mit dem Playbacktheater auf und reflektiert diese unter Einbeziehung verschiedener theoretischer Konzepte in einem persönlichen Brief an Heinrich Dauber unter drei Aspekten: dem Aspekt der Heilung, der Wiedergabe verschiedener Gefühlsschwingungen sowie Gedanken zur Übertragung und Einfühlung. Der Gedanke, dass es nicht nur einen Grund-Geist gibt, auch nicht nur eine einzige Art und Weise, diesen Geist (und damit uns selbst und die Weise, wie wir die Welt erfahren) zu erforschen, steht im Mittelpunkt eines Textes Zentatsu Richard Baker Roshi, Abt des Creston Mountain Zen Center in Colorado/U.S.A und des buddhistischen Studienzentrums Johanneshof im Schwarzwald. Wir danken Dharma Sangha Europe für die freundliche Abdruckerlaubnis. Baker Roshi plädiert nachdrücklich dafür, uns in einer diskontinuierlichen Welt, die wir in unserem Alltagsbewusstsein jedoch als konsistent erleben (wollen), nicht an unsere persönlichen und kulturellen Konzepte zu halten, sondern sich für unsere tatsächliche Erfahrung zu öffnen und ihr zu vertrauen. Schließlich beschreibt Bettina Hausmann auf dem Hintergrund ihrer verschiedenen therapeutischen Ausbildungsgänge (Integrative Therapie, Transpersonale Therapie, energetische und spirituelle Heilweisen) und ihrer persönlichen Lebenspraxis ihren eigenen Entwicklungsweg von der Gestalttherapie über Meditation, „Holotropes Atmen“ und Energiearbeit zur transpersonalen, energetischen Heilarbeit mit schamanischen Zügen. Dabei geht sie besonders auf die ständigen Verzahnungen von inneren und äußeren Veränderungen, persönlichen Prozessen und professionellen therapeutischen Identitäten ein, die in ihrer Erfahrung auf einer höheren Ebene aufgehoben werden und damit ‚aufgehoben‘ sind. Die fotografischen Impressionen aus der Namib-Wüste hat Heinrich Dauber von verschiedenen Reisen mitgebracht. Wir fanden, dass sie mit ihrer Weite, Stille und Klarheit eine guten Hintergrund bilden für die Themen der hier versammelten Beiträge. Wie immer wünschen wir viel Inspiration beim Lesen und Nachvollziehen und erhoffen uns, dass der Dialog weitergeht, auch mit Zuschriften, die wir gerne im Rahmen eines Leserforums veröffentlichen würden.


Heinrich Dauber Ulla Pfluger-Heist

Veröffentlicht
2009-07-30