Editorial
Zusammenfassung
Das vorliegende Heft konzentriert sich auf den Themenschwerpunkt Intuition, ein Phänomen, das wahrscheinlich jeder schon vielfach selbst erfahren hat und das gleichzeitig eines der zentralen Konzepte der philosophischen sowie spirituellen Traditionen seit der Antike ist. In unserer rational aufgeklärten Welt war Intuition lange Zeit eine wenig beachtete Randerscheinung. Die psychologisch-neurowissenschaftliche Forschung der letzten Jahrzehnte rückte die Beschäftigung mit Intuition jedoch wieder an eine wichtige Stelle im umfassenden Verständnis des menschlichen Geistes. Schließlich scheint Intuition für viele Menschen an Bedeutung zu gewinnen, wenn es darum geht, sich in einer zunehmend komplexen Welt zu bewegen. Es gibt wohl kein Berufsprofil, das nicht den handlungsleitenden Fokus des intuitiven Erfahrungswissens oder dessen kreative Impulse nutzen will. Die Artikel beleuchten aus verschiedenen konzeptuellen wie auch professionellen Perspektiven zentrale Fragen im Umgang mit Intuition in der heutigen Welt: 1. Was können wir unter Intuition verstehen? 2. Was sagt die aktuelle wissenschaftliche Forschung zu Intuition? 3. Welche Rolle spielt Intuition in einer rational geprägten Berufswelt? 4. Wie können wir den Zugang zu intuitivem Wissen und Handeln verbessern? 5. Wie verorten wir Intuition in einem transpersonalen Menschenbild?
Der Artikel von Claus Eurich spannt einen Bogen von den philosophischen Wurzeln des Intuitionsbegriffs hin zu einem integralen Verständnis von Intuition. Die innere Ausrichtung des Geistes, aus der die Intuition entspringt, bedeutet jedoch keine Abkehr vom Intellekt, sie integriert ihn vielmehr und schafft so ein ganz neues Erfahrungs- und Wirkungsfeld. Gleichzeitig geht sie über den reinen Intellekt hinaus, denn sie speist sich nicht nur aus den psychologischen Funktionen wie Erfahrungsgedächtnis, spürendem Gefühl, sondern auch aus transpersonalen Sphären. Markus Hänsel, unser neues Redaktionsmitglied, gibt zunächst einen knappen Überblick über die wichtigsten Forschungsergebnisse der Psychologie und Neurowissenschaften zu Intuition in den letzten Jahren. Viele der mittlerweile populärwissenschaftlich bekannten Konzepte, wie etwa somatische Marker, implizites Wissen, Heuristiken, tragen nicht nur zum differenzierten Verständnis der Intuition bei – sie tragen auch dazu bei, dass Intuition zunehmend als professionelle Kompetenz Beachtung erfährt, deren vielfältige Funktionen im Artikel dargestellt werden. Schließlich geht die Erfahrung von Intuition aber über das rein Funktionale hinaus – sie ermöglicht vielmehr eine selbsttranszendente Alltagserfahrung, die das rationale Selbstbewusstsein immer wieder erschüttert und gleichzeitig über sich hinauswachsen lässt. Das bewusste Erleben und Erforschen von Intuition trägt so zu einer Evolution des Bewusstseins bei. Während die Intuition oftmals nur als individuelles Phänomen betrachtet wird, stellt Heinrich Dauber sie in den interaktiven Kontext des Gruppengeschehens. Am Fallbeispiel des Playbacktheaters zeigt er, wie die Agierenden in diesem Setting Zugang zu verschiedenen Bewusstseinsmodi der algorithmischen, emotionalen und nondualen Präsenz herstellen, die eng mit dem intuitiven Erleben verbunden sind. Beobachtungen dieser Art lassen sich nun auf verschiedene Gruppenkontexte übertragen und in einem Modell der „modulierenden Intuition als Kompetenz in Gruppen“ verdichten. Sabine Poetsch benennt aus ihrer beruflichen Erfahrung heraus die Intuition als spezielles und äußerst wichtiges Führungsinstrument, ohne das Führungskräfte in dieser vielschichtig gewordenen Arbeitswelt nicht mehr auskommen. Sie zeigt 4 Aufmerksamkeitsstufen des Zuhörens auf – die Verhärtung, die Debatte, die Diskussion, die Kreativität - derer sich intelligente Führungskräfte bewusst sein sollten. Erst wenn sich eine Führungskraft im Feld der Kreativität befindet, wird es ihr möglich, sich der Intuition zu öffnen. Durch vier Beispiele aus der Praxis – die ersten 100 Tage, der Arbeits-Alltag, die Meeting-Kultur sowie Umgang mit Entlassung – veranschaulichen ihre Ausführungen. Der Bericht von Thilo Hinterberger, Helmut Kaiser und Puria Kästele über das Forschungsretreat zum Thema „Zeitgeist, Werte und Bewusstsein“ gehört – streng genommen – nicht zum Schwerpunktthema Intuition. Anhand verschiedener Zugänge – Vortrag, Musik, Rhythmuserleben, Mediation, Naturerlebnisse, Aufstellungsarbeit – näherten sich die Teilnehmenden dem Thema „Werte und Bewusstsein in Verbindung zum jetzigen Zeitgeist“. In dem Bericht wird ein Überblick über die Themen Werte, Zeitgeist, auch in Hinblick auf die musikalische Entwicklung, sowie Wertunterschiede in verschiedenen Kulturen gegeben. In der Länderaufstellung kamen Ressourcen ins Bewusstsein, die Qualität der Beziehungen zwischen einzelnen Ländern bzw. Gebieten sowie die jeweilige Bedürftigkeit. Es entstanden Visionen des Zukunftsgeistes, dessen Fazit lauten könnte: „Es ist genug“. In der Rubrik „Zur Diskussion“ stellt Wilfried Belschner seine Gedanken zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin und einer neuen Profession vor. In seinem ersten Entwurf macht er seinen Entwicklungsgang dieser Idee des „Kooperativen Werdens“ transparent und hofft auf Anregungen, Veränderungen, Vorschläge, halt Diskussionsbeiträge. Das Heft beginnt mit einem Glückwunsch des Redaktionsteams an den Gründer und Herausgeber dieser Zeitschrift, Dr. Joachim Galuska. Wir wünschen ein inspirierendes, vielleicht auch Intuition förderndes Lesevergnügen!
Markus Hänsel und Dorothee Wienand-Kranz